Trotz Corona sind die Immobilienpreise in Deutschland weiter gestiegen – je nach Index und Berechnungsweise auf Jahressicht sogar um zweistellige Prozentsätze. Die Immobilienplattform Europace kommt auf einen Preisanstieg für Wohnimmobilien in Deutschland um 13,28 Prozent. Das Statistische Bundesamt, das eher konservativ rechnet, meldete immerhin ein Plus von 9,4 Prozent.
Das alles nährt eine Sorge: Ist in Deutschland in der Niedrigzinsphase eine Immobilienblase entstanden, die bald platzen könnte? Immerhin werden die Notenbanken nicht ewig im Krisenmodus verharren und bei Nullzinsen Staatsanleihen für Billionen kaufen. Irgendwann dürfte die Geldpolitik sich normalisieren, in Amerika vermutlich schneller als in Europa. Und was passiert dann mit den Immobilienpreisen?
An Mahnern, die von einer Blase am deutschen Häusermarkt sprechen, die bald platzen könnte, fehlt es jedenfalls nicht. Der Immobilien-Dienstleister 21st Real Estate hat gerade eine Studie vorgelegt, der zufolge es in allen drei Segmenten am deutschen Immobilienmarkt – Wohnen, Büro und Einzelhandel – Preisblasen gebe. Am stärksten sei der Wohnungsmarkt betroffen: Für 20,3 Prozent aller deutschen Städte und Gemeinden stelle man eine Marktüberhitzung fest.
Es gibt Kriterien, an denen man festmachen kann, ob die Immobilienpreise allein wegen einer hohen Nachfrage so gestiegen sind oder ob da andere, spekulative Aspekte eine wichtige Rolle spielen. Unter diesen Kriterien gibt es aktuell einige, die für eine Blasen-Bildung sprechen, und einige, die eher Entwarnung geben, wie Reiner Braun sagt, Vorstandsvorsitzender des Immobilien-Instituts Empirica.
Das wichtigste Argument pro Blase: Die Kaufpreise haben sich sehr weit von den Mieten entfernt. Die Zahl der Jahresmieten, die ein Hauskäufer auf den Tisch zu legen bereit ist, ist in vielen Städten stark gestiegen. Dieser sogenannte „Vervielfältiger“ liegt in München, Hamburg und Stuttgart jetzt bei mehr als 40. So viele Jahresmieten zahlt man nun für ein Haus.
Ein anderes Argument spricht eher gegen eine Blase: Es werden weiterhin eher wenig neue Häuser fertiggestellt. Von einer für Immobilienblasen typischen Situation, dass über Bedarf gebaut wird und später die Bauruinen in der Gegend rumstehen, ist Deutschland weit entfernt. „In den meisten Regionen, insbesondere in den begehrten Großstädten, wird eher zu wenig als zu viel gebaut“, meint Fachmann Braun.
Auch das Verhältnis von Immobilienpreisen zu den Einkommen kann ein Indikator für eine Blasenbildung sein – wenn die Preise sich von den Einkommen entkoppeln. Aber das ist nicht zwingend. „Ein Faktor von 13,3 in München bedeutet, dass ein Durchschnittsverdiener 133 Jahre tilgen muss, wenn er dafür jeweils 10 Prozent seines Einkommens ausgibt“, sagt Braun: „Das ist schon ganz schön lange.“ In Frankfurt liegt der Faktor sogar bei 13,4, in Berlin bei 11,7.
Die Banken allerdings sind in Deutschland traditionell eher vorsichtig, was die Kreditfinanzierung von Immobilien betrifft. Finanzierungen zu 100 Prozent sind seltener als in vielen anderen Ländern – auch wenn man davon in letzter Zeit hin und wieder hört. Insgesamt, so meint Empirica, habe man beim Thema Baukredite zuletzt eher eine Zunahme von Blasen-Risiken beobachtet.
„Noch würde ich die Überbewertung am deutschen Wohnimmobilienmarkt nicht als Blase bezeichnen“, sagt Jörg Krämer, der Chefvolkswirt der Commerzbank. „Aber wenn die EZB noch lange an ihrer lockeren Geldpolitik festhält, ist das Risiko real, dass sich mit der Zeit eine Immobilienblase entwickelt.“
(aus FAZ vom 19.8.2021 von Christian Siedenbiedel, Frankfurt)