100 Jahre nachdem Walter Gropius das Bauhaus gründete, kann man mit der „Grand Tour der Moderne“ den Spuren der Neuen Bauens durch ganz Deutschland folgen. Eine Anlaufstelle im Norden: Das Landhaus Michaelsen in Hamburg. Welche Wirkung dieses Pionierbauwerk der Moderne hatte, zeigt jetzt eine Ausstellung im Rahmen des 25. Hamburger Architektursommers
Der Auftrag des Ehepaars Michaelsen für den Bau eines Landhauses am Falkensteiner Elbufer war einer der ersten für den jungen Architekten Karl Schneider. Der 31-Jährige hatte bei Walter Gropius und Peter Behrens im Atelier gearbeitet, mit dem Chilehaus-Architekten Fritz Höger Wettbewerbe ausgeführt und erst zwei Jahre zuvor ein eigenes Büro in Hamburg eröffnet.
Er entwickelte den Plan für einen klar strukturierten, L-förmigen Gebäudekomplex. Dabei bildet ein Turm das Scharnier zwischen den beiden Flügeln, die sich zur spektakulären Aussicht über die Elbe öffnen. Dieser höchste Punkt der Anlage orientiert sich an einem nahen Baumsolitär, ohne ihn zu übertrumpfen. Der lange Gebäudeflügel besteht aus dem zweistöckigen Wohntrakt, dessen Walmdach die Neigung des Hanggeländes aufnimmt. Er läuft in einem vorn abgerundeten Terrassenbau mit Glasfront aus. Der südwestliche Flügel besteht aus zwei gestuften Terrassenbauten, die sich in den Hang schmiegen und ebenfalls in einem Halbrund endet. Dunkel gerahmte Fensteröffnungen setzen Akzente in der weiß geschlämmte Backsteinfront.
Der moderne Entwurf des jungen Architekten entsprach so wenig der traditionellen Auffassung, dass Karl Schneider ihn von einem erfahrenen Kollegen begutachten lassen musste, um eine Bauerlaubnis zu erhalten. Der Architekt Erich Elingius erkannte die künstlerische Leistung und schrieb an das zuständige Bauamt: „Würde man nur dem Althergebrachten zustimmen, würde man die Entwicklung neuer Talente hemmen.“
1924 konnte das Landhaus Michaelsen fertig gestellt werden. Das Talent von Karl Schneider zu einer ganz eigenen, neuartigen Lösung gestalterischer Anforderungen stießen auf großes Interesse. So schrieb der Architekturkritiker Heinrich de Fries 1929 in seinem Buch über Karl Schneiders Bauten:„Innerhalb des Baugeländes selbst sind die Höhenunterschiede durch zwei Terrassen ausgeglichen, wodurch eine starke dynamische Spannung des Aufbaus und ein großer Beziehungsreichtum in der Gliederung des Baukörpers entsteht.“ In diesen Jahren wurde das Landhaus Michaelsen in den Fachpublikationen so häufig dargestellt und diskutiert wie sonst nur noch das Chilehaus.
Knapp zehn Jahre lang schuf Karl Schneider in Hamburg mehr als 15 weitere innovative Bauten, vom Kino bis zur Reihenhaussiedlung. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten beendete seine Karriere. Schneider verlor seine Professur an der Hamburger Landeskunstschule und emigriert 1938 in die USA.
Das Landhaus Michaelsen wurde lange Zeit vermietet und 1955 an den Verleger Axel Springer verkauft. Der war offenbar mehr an der Lage, als an dem Bauwerk interessiert und beantragte nach einigen Jahren den Abbruch des Hauses. Der wurde auch genehmigt, aber nicht umgesetzt. Doch das Avantgarde-Bauwerk verfiel und es verfiel auch weiter, nachdem der Verleger es 1980 mitsamt Grundstück der Stadt Hamburg geschenkt hatte.
Dass die Architekturperle im Bauhaus-Jubiläumsjahr noch existiert, und in weiten Teilen der Originalzustand wieder hergestellt wurde, ist der Galeristin Elke Dröscher zu verdanken. Sie entdeckte das verwahrloste Gebäude 1984 und bot der Stadt Hamburg an, gegen ein langjähriges Nutzungsrecht die Sanierungs- und Unterhaltskosten zu übernehmen.
Seitdem lebt die Galeristin mit und in dem inzwischen denkmalgeschützten fast 100 Jahre alten Vorreiter moderner Architektur und findet: „Das Haus ist so stimmig, dass es immer noch modern wirkt.“ Mit einem Puppenmuseum hat sie einen Teil des Gebäudes der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
In weiteren Räumen zeigt die Galeristin zurzeit eine Sonderausstellung im Rahmen der 25. Veranstaltung des „Hamburger Architektursommers“: Unterbrochen von herrlichen Ausblicken über die Elbe sind dort an den Wänden noch bis zum 21. Juli Dokumente zur Entstehung und Rezeption des Landhauses Michaelsen zu sehen.